Berufsorientierung in China

Jugendlichen auf verschiedensten Wegen ermöglichen, dass sie ihre interkulturellen Kompetenzen verbessern und die eigenen Fähigkeiten ausbauen, um auf dem Arbeitsmarkt möglichst erfolgreich Fuß fassen zu können – das sind Kernpunkte der Arbeit des Jugend- und Stadtteilzentrum Casino in Hamm-Pelkum. Unter dieser Zielsetzung laufen eigene Projekte in der Einrichtung und im Stadtteil, Projekte mit Kooperationspartnern wie Schule, christliche und muslimische Gemeinden und Projekte in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern in Miami, dem Nahen Osten und seit 2 Jahren auch in China. Über den nicht einfachen – und noch nicht abgeschlossenen – Aufbau eines funktionierenden Jugendaustausches mit Dalian und Weihai in China soll im Folgenden berichtet werden.

Initiiert durch chinesische Investoren  haben wir seit 2007 einen Kontakt in die 6-Millionen Stadt Dalian im Nordosten Chinas, einer modernen Industriestadt am Gelben Meer, und darüber einen Kontakt nach Weihai in der Provinz Shandong zum Weihaifutian-Praktikum-Stützpunkt. Bereits frühzeitig wurde die Idee geboren, gute Beziehungen auch über einen gegenseitigen Jugendaustausch aufzubauen. Kernelemente sollten die Begegnung mit Jugendlichen, der interkulturelle Austausch und ein Betriebspraktikum sein. 2008 besuchten erstmals 15 Hammer Jugendliche China, wo sie Praktika in Hotels und einem Freizeitpark absolvierten, Unterricht in chinesischen Kulturtechniken erhielten und sich mit Jugendlichen trafen. Der für 2009 vorbereitete Gegenbesuch in Hamm fiel dann jedoch aus, weil die chinesischen Eltern angesichts der sich ausbreitenden und damals in ihren Auswirkungen noch unbekannten Schweinegrippe  und dem Amoklauf von Winnenden die bereits feststehenden Jugendlichen nicht mehr fliegen lassen wollten. Chinesen haben doch nur ein Kind und da wolle man kein Risiko eingehen, so die Mitteilung der Partner aus Dalian.

So waren 2010 zuerst einmal wieder Hammer Jugendliche eingeladen, an dieser Kombination von Betriebspraktikum im Ausland und internationaler Jugendbegegnung teilzunehmen. Vorbereitet wurden alle von Mitarbeitern des Jugend- und Stadtteilzentrum Casino, die zusätzlich eine zertifizierte Master-Ausbildung „XPert Culture Communication Skills“ besitzen und sich dabei auf China spezialisiert haben.

Ein Projekt mit Menschen eines Landes, dessen Kultur sich über 5000 Jahre eigenständig fast abgeschlossen vom „Rest der Welt“ entwickelt hat, kann ohne eine intensive Auseinandersetzung mit seiner Kultur nicht erfolgreich sein. Wer glaubt, mit seinen eigenen Denk- und Verhaltensmustern erfolgreich mit Chinesen kommunizieren zu können, wird lange nicht bemerken, dass er trotz langer Gespräche  kaum zu greifbaren Ergebnissen kommt. „Ja“ bedeutet nicht „Ja“ und eine Gesprächskultur, die ein „Nein“ um jeden Preis vermeiden will, bringt einen Deutschen, der nach kurzer Diskussion ein verbindliches Ergebnis erwartet, bald an den Rand der Verzweiflung.  Eine für chinesische Höflichkeit scharfe Ablehnung ist z. B. die Formulierung: „Das ist eine gute Idee, das können Sie so machen, aber vielleicht auch besser nicht.“ Dies ist nur ein Beispiel für eine Vielzahl von Eigenarten chinesischen Denkens und Verhaltens, auf die die Teilnehmerinnen in über 60 Zeitstunden intensiv vorbereitet wurden.  Grunddaten zu China, das chinesische Wertesystem, die gesellschaftliche und politische Situation mit ihren aus westlicher Sicht problematischen Aspekten, die chinesische Sprache, die Schulausbildung in China sowie viele Informationen über das Essen und die Esskultur im Nordosten Chinas waren einige der Schwerpunkte in der Vorbereitung. Abschließend konnten alle Teilnehmer erfahren und lernen, was die zu erwartenden kleinen und großen Kulturschocks in einem auslösen und wie man mit ihnen umgehen kann.

So vorbereitet startete die Gruppe am 29. März von Hamburg  mit Zwischenstopps in Amsterdam und Peking nach Dalian. Herzlich empfangen wurden die „Hammer Delegation der Jugendbegegnung“  von Mitarbeitern der Fa. „Dalian Xinguangcai Employment Service Co., Ltd.“, mit der das Projekt im Vorfeld abgesprochen und die für die komplette Organisation vor Ort zuständig war. Um sich erst einmal zu akklimatisieren, gab es zur Einführung in die chinesische Kultur einige Einheiten Unterricht in chinesischer Sprache, Schriftzeichen, Musik, Papierschnitt, Kung Fu und Tai Chi. Mittag- und Abendessen waren dann jeweils eine praktische Einführung in die chinesische Küche und Esskultur, wobei mit den Tagen die Erkenntnis wuchs, dass es nur wenig Lebendiges gibt, das nicht als Essen zubereitet werden kann. Vieles war unerwartet lecker, aber einiges auch sehr ungewohnt für einen deutschen Gaumen und Magen.

Mit der Zeit wuchs die Vertrautheit mit dem Fremden und es begannen die Praktikumstage. Nach Feierabend trafen sich die Teilnehmer in der Gruppe und es gab immer viel Gesprächsstoff. Besonders viel zu erzählen hatten die Praktikanten in der chinesischen Arztpraxis, die aus einem Arzt, dem „Meister“ und einem „Lehrling“ bestand. Sie behandelten mit Akupunktur, Massage und Mitteln aus der chinesischen Naturmedizin. Es war schon beeindruckend, was der Arzt durch ein einfaches Tasten am Unterarm, durch einen Blick in die Augen und den Mundraum an verschiedenen Beschwerden diagnostizieren konnte. Zu Beginn des Praktikums untersuchte er kurz alle Gruppenteilnehmer. Obwohl er sie zum ersten Mal gesehen hatte, konnte er innerhalb von nicht einmal einer Minute zutreffend Beschwerden eines jeden beschreiben. In einer Mittelschule lernten die Praktikanten den Schulalltag kennen. Sie beobachteten unterschiedliche Lehrstile von älteren und jungen Lehrern. Sie waren erstaunt zu erfahren, dass es vor allem bei älteren Lehrern auch das „Burn-out-Syndrom“ gibt, weil sie mit ihren traditionellen Lehrmethoden an ihre Grenzen stoßen. Angesichts des gesellschaftlichen Wandels können Lehrer auch in China Autorität immer weniger allein aus ihrem Amt gewinnen. Erfrischend war auch die Neugier und Offenheit der chinesischen Schüler, die sich jedes Mal morgens freuten, wenn die Praktikanten zur Schule kamen.

Die Gastgeber hatten ein umfangreiches Freizeitprogramm vorbereitet, an dem immer wieder auch chinesische Jugendliche beteiligt waren. So fühlten sich die Teilnehmer mit der Zeit in Dalian heimisch und die Tage vergingen wie im Flug. Nach 19 Tagen hieß es dann Abschied nehmen. Die Gastgeber richteten ein festliches Abendessen aus, bei dem die Zertifikate für die Praktikanten und persönliche Geschenke für jeden Teilnehmer überreicht wurden. Auf beiden Seiten wurden viele Reden gehalten, in denen man sich der gegenseitigen Freundschaft versicherte. Aus Fremden waren Freunde geworden. Am Flughafen standen einigen die Tränen in den Augen und man wünschte sich gegenseitig, dass man sich möglichst bald wiedersehe.

Pünktlich ging es von Dalian nach Peking. Dort schnell neu einchecken nach Amsterdam und in 13 Stunden wieder daheim in Hamm sein – so war der Plan. Zwar hatte man gehört, dass eine Aschewolke in Europa das Fliegen behindere, aber dass der eigene Flug gestrichen werden könnte, hatte niemand ernsthaft auf der Rechnung, stand doch in dicken Lettern auf der Abflugtafel, dass er planmäßig ohne Verzögerung fliegen würde.

Aber dann wurde aus dem „scheduled“ auf der Anzeigetafel ein „cancelled“ und es gab keine Informationen außer der, dass man sich ein Hotel suchen solle, weil man nicht wisse, wann man wieder fliegen könne – heute auf keinen Fall, morgen wohl auch nicht, vielleicht in einer Woche. Für viele war China die erste große Auslandsreise, sie waren nach fast dreiwöchigem Aufenthalt in Gedanken schon bei ihren Familien und Freunden und nun hing man in Peking fest. Ratlos wurden die Gastgeber in  Dalian  informiert, die sofort sagten, dass sie nach Peking fliegen würden, um uns zu unterstützen. Tatsächlich waren sie 4 Stunden später da.

Es wurde vereinbart, erst einmal zwei Tage in Peking zu bleiben, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Um die Wartezeit zu überbrücken, mieteten die Gastgeber einen kleinen Bus und organisierten ein Besichtigungsprogramm. Die verbotene Stadt, den Sommerpalast, die Große Mauer und das Olympiastadion waren beeindruckende Ziele der Sightseeing-Touren. Die Gastgeber unternahmen alles, um die Gruppe bei Laune zu halten, und schnell merkten fast alle, dass die ungeplante Aufenthaltsverlängerung auch ihre positiven Seiten hatte. Als klar wurde, dass niemand einen verbindlichen Rückflugtermin nennen konnte und man mindestens noch eine Woche warten müsse, entschloss man sich, das teure Peking zu verlassen und zurück nach Dalian zu fliegen. Für die Jugendlichen gab es von nun an Schulunterricht. Unsere Gastgeber besorgten für uns Drucker, Kopierer, Taschenrechner, Papier und Schreibutensilien und sprachen mit uns ein Freizeitprogramm ab. Innerhalb des Distriktes (800000 Einwohner) konnten sie sich inzwischen grob orientieren, so dass jeder gewünschte Punkt problemlos mit dem Taxi erreichen werden konnte. Dass sich alle mit der ungewollten Situation arrangierten, dazu trugen neben dem organisierten Freizeitprogramm auch drei Geburtstage in der Gruppe bei, die chinesisch mit Karaoke und dicker Geburtstagstorte gefeiert wurden – Sahnetorte  mit Stäbchen essen war dabei eine ganz neue Erfahrung. Als es dann nach einer Woche hieß, man werde in drei Tagen fliegen, fanden viele, dass man eigentlich gern mindestens noch eine Woche dranhängen würde. Doch diesmal ging alles nach Plan.
Es gab natürlich wieder ein Abschiedsessen mit allem Drum und Dran, doch waren einige Jugendliche diesmal vorsichtiger: Beim Wunsch sich wiederzusehen betonten sie, dass man dies gern in Hamm wolle: Wir wollen gern wieder in Peking hängenbleiben, aber vielleicht auch besser nicht…

 

Seit 2012 führen wir nun regelmäßig Jugendbegegnungen mit Hin- und Rückbesuch durch. 3 Mittelschulen, eine Universität und eine Deutschschule für Chinesen und der Weihaifutian Praktikum-Stützpunkt sind dabei unsere Partner. Dass es uns inzwischen gelingt, den Hin- und Rückbesuch innerhalb von 3 Monaten durchzuführen, stellt sicher, dass an beiden Begegnungen die gleichen Jugendlichen teilnehmen können. So können sie sich gegenseitig ihre Familie, ihre Schule und ihre Stadt und damit ihr Leben vorstellen. Viele Jugendliche beider Länder haben im Anschluss an eine unserer Jugendbegegnungen ihre neuen Kontakte genutzt und Chinesisch in China oder Deutsch in Hamm gelernt und ausgezeichnete Zertifikate erworben, Freiwilligendienste geleistet oder auch studiert. Ein - mittlerweile junger Erwachsener - ist inzwischen wirtschaftlich in China engagiert, ein weiterer arbeitet fest in einer chinesischen Firma.

3 Mittelschulen, eine Universität und eine Deutschschule für Chinesen sind unsere festen Partner.